Weitwandern auf Mallorca: GR221 in der Tramuntana. Foto: Simon Schöpf

GR 221, oder: Weitwandern auf Mallorca

Türkisblaue Wellen, ockerfarbene Bergdörfer, graue Hochebene: Farbenreich durchquert der GR 221 den Norden Mallorcas. Eindrücke von einem der schönsten Fernwanderwege Europas.

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Veröffentlicht in: Bergwelten-Magazin 02-2018

Eigentlich war ja ein gemütlicher Familien/Kletter/Strandurlaub geplant. Dann kam die Anfrage des Chefredakteurs, ich wär’ dann ja schon auf der Insel, wie praktisch, und die Berge Mallorcas sollten schon lang mal ins Bergwelten-Magazin. Klar. Ein typisches Beispiel für die Verschmelzung von Beruf und dem, was früher mal Freizeit war. Aber: Insgesamt ein genialer Aufenthalt mit urigen Inselbewohnern, einer Spitzen-Fotografin (Super, Susi!) und der Erkenntnis: Scheiß auf Ballermann, Mallorca ist da am Schönsten, wo der Strand mit seinen Massen höchstens weit entfernt am Horizont aufblitzt. Ab in die Tramuntana!, danke Chefredakteur!


Mallorquiner spielen gern Tetris. Seit fünftausend Jahren schon, auf rund 30.000 Kilometern. Anders kann man sich das Gesamtkunstwerk der Trockensteinmauern nicht erklären, die sich abenteuerlich über Steppen und Bergrücken ziehen und für die größte Baleareninsel ebenso charakteristisch sind wie die traumhaften Badebuchten mit türkisblauem Mittelmeer. Stein für Stein, Meter für Meter: ein Tetris-Level für Großmeister. „Wenn du einmal selbst probiert hast, mehr als drei Steine zu stapeln, fallen sie sofort wieder zusammen. Das ist richtige Handwerkskunst, ein Kulturerbe der Araber“, weiß Patrick John und streicht dabei respektvoll mit seiner Hand an einer der Steinmauern entlang, die sein Grundstück, seine Finca, durchziehen. Vor sechzehn Jahren kam er nach Mallorca. Mit zwanzig wollte er raus aus Dresden, das mediterrane Flair hat ihn sofort gefesselt. Mitten auf seiner Finca hat er vor zwei Jahren das Refugi de Ses Fontanelles eröffnet, die erste Schutzhütte auf der Ruta de Pedra en Sec, dem Weg der Trockensteinmauern quer durch die Serra de Tramuntana, den mächtigen Gebirgszug im Norden Mallorcas.

WANDERN IM WELTERBE

Wir sind auf dem GR 221 unterwegs, wie der Weg offiziell heißt. Die Bezeichnung lässt allerdings eher Assoziationen mit einer polnischen Waschmaschinentype aufkommenals mit einem der schönsten Wanderwege Europas. Führt der GR (Gran Recorregut auf Katalanisch) doch durch lieblich terrassierte Olivenhaine und sü. duftende Orangenplantagen, durch lichte Waldstriche voller Steineichen und Johannisbrotbäume. Über die kargen mallorquinischen Hochebenen, drapiert mit den hüfthohen Büscheln Càrritx, dem Schneidgras, das der Mittelmeerinsel sogar im höchsten Sommer und im tiefsten Winter ihr immergrünes Kleid überzieht. Durch Täler mit ockerfarbenen Bergdörfern und einsamen Bauernhöfen, vorbei an grasenden Schafen und wilden Ziegen. Durch eine Karstlandschaft, die aussieht, als hätte ein Riese über das ganze Gebirge überdimensionale Steinhäufchen verteilt. Dabei immer in der Nase: eine frische Brise Mittelmeerluft, die man auch tausend Höhenmeter über der Küste noch genüsslich einatmet. Auf der Haut die schmeichelnde Frühlingssonne, die auch den letzten Gedanken an den heimischen Winter verblassen lässt. Es muss wohl die perfekte Kombination aus all dem sein, die die UNESCO dazu brachte, die Serra de Tramuntana 2011 zum Welterbe zu erklären.

Und unten das Meer. Foto: Simon Schöpf

WEGE À LA CARTE

Wenn eine jeden Stein, jeden pedra , auf der Ruta de Pedra en Sec kennt, dann ist das Aina Escrivà. Die charismatische Mallorquinerin mit deutscher Mutter ist seit 30 Jahren Wanderführerin auf der Insel. Dass sie seitdem fast jeden Tag in den Bergen verbracht hat, erkennt man an ihrem ausgeglichenen, natürlichen Wesen. Den Weg der Trockensteinmauern ist sie bereits über 50-mal gegangen. So gut kennt sie die Gegend, dass sie ihr Wissensgebiet gleich mitkartografiert: Zusammen mit ihrem Mann Jaume – ebenfalls begeisternder Wanderführer – erstellt sie nun schon in dritter Auflage detailverliebte Wanderkarten von der Serra. „Ihr müsst euch den GR 221 als Projekt in Arbeit vorstellen, nicht als fertiges Produkt“, betont sie, „der Weg ist erst im Aufbau.“ Noch ist nicht die gesamte Strecke offiziell ausgeschildert, ein Großteil des Gebirges ist auf Mallorca nämlich Privatbesitz. So muss die Regierung Abschnitt für Abschnitt, Kilometer für Kilometer mit den Grundstücksbesitzern aushandeln, „ein langsamer und komplizierter Prozess“, meint Aina und verdreht theatralisch die Augen.

Doch das Wunderbare am GR 221: Er lässt sich à la carte zusammensetzen und komplett individualisieren. Wer es wirklich wissen will und bereits den ganzen Weg gehen möchte, packt Karte und GPS ein und schultert den 75-Liter-Rucksack ganz im Westen, im mondänen Port d’Andratx. Von hier geht es in neun sportlichen Tagesetappen über 130 abwechslungsreiche Kilometer bis Pollença ganz im Osten des Gebirges, dem vorläufigen Endpunkt der Route. „Irgendwann wird der Weg zum Grande Finale ins Cap Formentor einlaufen, aber noch fehlt ein vernünftiger Wanderweg dorthin“, bemerkt Aina. Für das Dessert muss man sich also noch ein wenig gedulden. Wer die Ursprünge des Wanderns auf Mallorca verstehen will, der hört einen Namen immer wieder: Paco Ponce. Der temperamentvolle Mallorquiner gilt als Wanderpionier der Insel, 1976 veranstaltete
er erstmals für deutsche Gäste die legendäre Neckermann-Wanderwoche. Das Angebot schlug ein, Paco brauchte Verstärkung: 1995 überredete er seinen Freund Salvador Suau, sich als Flugbegleiter ein Jahr Auszeit zu nehmen, um mit ihm Touristen über die Insel zu führen. Tomatensaft mit Pfeffer servierte Salvador seitdem nie wieder – er war nun im Bergfieber. Und 1996 schaffte er gleich im ersten Anlauf die Bergführerausbildung; „aus purer Leidenschaft für die Natur“, wie er schwärmt. Salvador, groß gewachsen und mit ungemein gutmütigen Wesenszügen, stammt aus Fornalutx, einem 700-Einwohner-Nest, das „bereits zweimal zum schönsten Dorf Spaniens gekürt wurde“, wie er nicht ganz ohne Stolz betont. Im Jahr 2004 ging Paco schließlich in Rente, und Salvador ist seither dessen Nachfolger.

Wer mit ihm unterwegs ist, der wandert meistens auf Trampelpfaden, die nicht einmal auf Ainas Wanderkarte markiert sind. „Ich nenne die Gegend die mallorquinischen Alpen. Die Alpen mit Meerblick“, schwärmt er in exponierter Lage am Felsenkamm, 400 luftige Höhenmeter über seinem Heimatort, der seinerseits 400 Meter über dem Meer liegt. Das Mittelmeer liegt weit unter uns, am Horizont verschwimmt es mit dem wolkenlosen Himmel zu einer blauen Endlosigkeit. Ab dem Städtchen Sóller geht es mit dem GR 221 dramatisch steil bergauf: Die Etappen durch die Schlucht von Biniaraix, über die karge Hochebene des Cúber-Stausees und zum Kloster Lluc sind das Herzstück der Route. Und über allem thront mächtig der Puig Major, der Große Berg, mit 1.445 Metern die höchste Erhebung der Insel. „Der Gipfel ist leider seit 1958 militärisches Sperrgebiet, ganz oben steht eine Radarstation der NATO“, sagt Salvador und zeigt dabei auf die leicht außerirdisch anmutende Kuppel in der Ferne. Zum Trost gibt es aber noch 53 weitere „Tausender“ in der Serra de Tramuntana.

Supersusi im Supersunset. Foto: Simon Schöpf

Auch das macht den GR 221 so spannend: Es lohnt sich immer wieder, einmal kurz vom Weg abzuzweigen und die Umgebung zu erkunden. Zum Beispiel an den Steilklippen unterhalb des Refugi de Muleta, nur ein paar Meter abseits des offiziellen GR-221-Wegs, bei Port de Sóller, wo Wagemutige an den Felsen Deep Water Soloing versuchen können, oder, wie es auf der Insel so charmant heißt: Psicobloc. Im Falle eines Sturzes gibt es kein Seil, das einen hält, dafür eine garantierte Abkühlung beim Eintauchen in das tiefblaue Mittelmeer. Oder ein Exkurs zu einer Landschaft, die tief unter den Wegmarkierungen schlummert: Schwer behangen mit Karabinern, seilen wir uns mit Patrick John in die Cova de Sa Campana, die tiefste Höhle der Balearen. Unvorstellbare 358 Meter geht es hier in die Tiefe, Kammer um Kammer, Schacht um Schacht. Am Ende wartet ein riesiger Höhlensee, drei Tage braucht ein Expeditionsteam, um diesen Punkt zu erreichen. Wir begnügen uns fürs Erste mit der obersten Höhlenkammer, der Sala Gràcia. „Die ganze Kathedrale von Palma würde hier reinpassen“, schwärmt Patrick und schaltet die Stirnlampe auf maximale Leistung. Vom Lichtkegel erhellt, zeigt sich eine märchenhafte Welt unter der Erde: Meterhohe Stalagmiten, Sinterbecken voll mit glasklarem Wasser, verwunschene Kammern, bis oben gefüllt mit fragilen Kristallstrukturen. „Aber das Beste“, sagt Patrick, „ist die absolute Stille hier unten.“Zurück an der Erdoberfläche, fragt Patrick: „Wollt ihr meinen neuen Song hören? Nächste Woche ist der Release!“ – und dreht die Musikanlage seines Geländewagens auf Anschlag. Clubtechno dröhnt aus den Boxen, die Ruhe der Höhle ist plötzlich ganz weit weg. Fast hätten wir vergessen, dass Mallorca auch solche Stücke spielt. Aber wir schalten den Ballermann aus und gönnen uns einen entspannten Tagesausklang mit Sangria, Strand und Sonnenuntergang. Das kann die Insel auch ganz wunderbar.


AB IN DIE HÖHLE: MALLORCA MAL VON INNEN

Pretty dark, pretty cool, pretty big: Der Sala Gràcia der Cova de sa Campana. Foto: Susanne Einzenberger

Auch unterhalb der Erdoberfläche hat die Mittelmeerinsel so einiges zu bieten: „Über 5.000 Höhlen gibt es hier, Mallorca hat die meisten Höhlen pro Quadratmeter in ganz Europa,“ schwärmt Patrick John, „wir wandern auf einem Schweizer Käse.“ Wenn er sich nicht gerade auf seiner Finca um die Wandersleut’ kümmert, dann sucht man ihn meistens vergebens: Vor 10 Jahren hat er das Höhlenforschen für sich entdeckt, „eine Leidenschaft, die süchtig macht. Innerhalb von Sekunden bist du in einer Parallelwelt. Du siehst Dinge, die nur ganz wenige sehen!“

Auch das macht den GR 221 so spannend: Es lohnt sich immer, mal kurz vom Weg abzuzweigen und die Umgebung zu erkunden. Oder eben das, was tief unter den Wegmarkierungen schlummert: Schwer behangen mit Karabiner seilen wir in die Cova de sa Campana, die tiefste Höhle der Balearen. Unvorstellbare 358 Meter geht es hier in die Tiefe, Kammer um Kammer, Schacht um Schacht. Am Ende wartet ein riesiger, eiskalter Höhlensee, drei volle Tage braucht ein Expeditionsteam, um diesen Punkt zu erreichen.

Wir begnügen uns fürs erste mit der obersten Höhlenkammer, dem Sala Gràcia. „Die ganze Kathedrale von Palma würde hier reinpassen,“ schwärmt Patrick und schaltet die Stirnlampe auf Hochleistung: Vom Lichtkegel erleuchtet zeigen sich meterhohe Stalagmiten, Sinterbecken voll mit glasklarem Wasser, verwunschene Kammern bis oben gefüllt mit fragilen Kristallstrukturen. Eine märchenhafte Welt, wie von einem anderen Planeten.

Patrick in seiner Dunkelkammer. Foto: Susanne Einzenberger
  • Speläologe Patrick John
  • Finca Ses Fontanelles, Apdo. Correos 56, 07150 Andratx,
  • Tel. +34 680 322171, www.espeleo-mallorca.com

INFOBOX: WEITWANDERN AUF MALLORCA

Tourentipps & Infos für einen Wanderurlaub am und um den GR 221.

ANKOMMEN

Preiswerte Flugverbindungen nach Palma de Mallorca gibt es von so ziemlich jedem größeren Flughafen in Europa. Für Tageswanderungen mit dem Mietauto zum Ausgangspunkt, für Fernwanderer empfehlen sich die guten öffentlichen Verkehrsmittel der Insel (www.tib.org).

BESTE REISEZEIT

Die beste Zeit für lange Wanderungen sind der Frühling (Mitte Februar bis Anfang Mai) und der Herbst (Mitte September bis Mitte November). Im Sommer wird es oft unerträglich heiß, im Winter kann es in der Tramuntana schon mal weiß werden.

SCHLAFEN

HÜTTENFLAIR

Für alle Weitwanderer gibt es am GR 221 bereits sechs offizielle Hütten (Refugis), meist umgebaute, dickmaurige Gebäude in grandiosen Standorten (zB. Refugi Muleta, Bild unten). Der Standard ist rustikal aber sauber, genächtigt wird in Bettenlagern (14 € / Nacht). Die öffentlich-betriebenen Hütten müssen mindestens 5 Tage im Vorhinein online reserviert werden.

  • Buchungen: http://bit.ly/mallorca-heutten
  • Tel.: +34 971 17 37 00

LUXUS IM BERGDORF

Für privater orientierte Kundschaft gibt es in den Örtchen am GR 221 zahlreiche Hotels in allen Preisklassen. Ein angenehmes Haus in Deià ist das Des Puig.

  • Carrer Es Puig, 4, 07179 Deià
  • Tel. +34 971 63 94 09, www.hoteldespuig.com

IM WANDERZENTRUM

Sóller ist der ideale Ausgaungspunkt für die meisten Wanderungen, direkt am Bahnhof nächtigt man im traditionsreichen El Guía mit guter Küche.

  • Carrer de Castanyer, 2, 07100 Sóller
  • Tel. +34 971 63 02 27, www.hotelelguia.com

WANDERN

In insgesamt 9 Etappen führt der GR 221 quer durch die Serra de Tramuntana. Einzelne Abschnitte können mit Hilfe der öffentlichen Verkehrsmittel aber auch problemlos als Tageswanderungen absolviert werden, hier einige Highlights.

PILGERN DURCH DIE FELSENSCHLUCHT
Die Barranc de Biniaraix ist einer der beliebtesten Abschnitte des GR 221. Auf dem uralten, perfekt restaurierten Pilgerweg geht es durch eine spektakuläre Felsenschlucht zur Hochebene des Cùber-Stausees.
Ausgangspunkt: Biniaraix (Buslinie 212 bis zur Haltestelle „l’Horta de Biniaraix“)

  • Strecke: 5km
  • Höhendifferenz: 350m
  • Dauer: 3,5 Stunden

GRANDIOSE TIEFBLICKE
Der Reitweg des Erzherzogs Ludwig Salvator ist der wohl berühmteste Wanderweg Mallorcas. Zurecht: Der Camí des Arxiduc besticht mit atemberaubenden Tiefblicken auf die Steilküste.
Ausgangspunkt: Valldemoss

  • Strecke: 9,5km
  • Höhendifferenz: 600m
  • Dauer: 3,5 Stunden (Rundweg)

IM HÖLLENSCHLUND
Die anspruchsvolle Durchquerung des Torrent de Pareis – dem „Grand Canyon“ Mallorcas – ist eines der absoluten Naturhighlights der Insel, ein stundenlanger Hindernislauf über haushohe Felsbrocken in einer 300 Meter tiefen Schlucht (Bild unten).
Ausgangspunkt: Restaurant Escorca (An der Straße MA-10 bei km 25,2)

  • Strecke: 7,5km
  • Höhendifferenz: 650m (im Abstieg)
  • Dauer: 5 Stunden

WEGE FINDEN

DER LETZTSTAND

Auf der Website des Inselrates findet man die neuesten Entwicklungen & den offiziellen Wanderführer zum Download, www.conselldemallorca.net/mediambient/pedra

70 TOUREN

Die schönsten Küsten- und Bergwanderungen auf der ganzen Insel, der GR 221 ab Deià beschrieben: „Mallorca“, Bergverlag Rother, €14,90

KARTENMATERIAL

Die detaillierten Wanderkarten von Aina gibt es im 3er Set (Central/Süd/Nord) und 1:25.000, Editorial Alpina, www.camins-mallorca.info

Spezifisch für den gesamten GR 221 (1:50.000) gibt es die Karte „Mallorca GR-221“ inklusive Tourenbeschreibungen,

map.solutions, 3. Auflage 2017, www.serratramuntana.de

GEFÜHRTES WANDERN

Wanderführerin Aina Escrivà hat den GR 221 als „Transtramuntana“ mit Hauser Exkursionen im Programm, www.hauser-exkursionen.de

Bergführer Salvador Suau ist bekannt für einsame Schleichwege mit exklusiven Wegerechten rund um Port de Sóller, www.mallorcamuntanya.com, Tel. +34 639 713212

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