Rauriser Tal: Auf Gold gebaut

#gesammeltewerke: Eine Wintergeschichte für das Bergwelten Magazin, fotografiert von Julian Bückers. Seit der Recherche bin ich noch ein zweites Mal nach Kolm Saigurn gekommen, und das Schöne war: Es war alles genau wie drei Jahre zuvor. Nur der Kolm-Opa fehlte, ruhe in Frieden.


Rauriser Tal im Bergwelten Magazin (PDF)


Winter im goldenen Tal der Alpen: Im Salzburger Raurisertal wurde früher nach wertvollen Erzen geschürft, heute sind endlose Pulverhänge und gefrorene Wasserfälle die wahren Schätze.


Ein lichter, tief verschneiter Urwald, eine Weite, die endlos anmutet, nur spärliche Zeichen menschlicher Zivilisation: Wahrlich, man könnte sich andere Orte als Wiege des technischen Fortschritts vorstellen. Doch es war genau hier, im abgelegenen Talschluss des Pinzgauer Raurisertals auf über 1.600 Meter Höhe, als im ehemaligen Weltreich der K&K-Monarchie das erste elektronische Licht anging. „Die Beamten in Wien saßen noch über ihre Petroleumlampen gebückt, da haben die Knappen bei uns heroben bereits unter einer Glühbirne gespeist“, erklärt Martin Unterhofer während einer Verschnaufpause bei unserer Schneeschuhtour durch die Rauriser Idylle.

Der glitzernde Grund dafür: Gold. Der Talschluss des Raurisertals mit dem archaisch anmutenden Namen Kolm Saigurn war einst Zentrum des alpinen Goldbergbaus, das „Tauerngold“ machte stattliche 10% des Welt-Goldvorkommens aus. So prägend waren die Erze für die Menschen hier, dass gleich die ganze Gebirgsregion nach dem Edelmetall benannt wurde: Wir befinden uns inmitten der Goldberggruppe, die Gipfel ringsum tragen einschlägige Namen wie „Silberpfennig“ oder „Goldzechkopf“. Wir sind wahrlich im „goldenen Tal der Alpen“.

WEIT WEG VON DER WELT

Der vorindustrielle Goldbergbau, der hier bereits seit dem 14. Jahrhundert betrieben wurde, pflegte jedoch einen wenig romantischen Umgang mit der Natur. Das Tal wurde großflächig abgeholzt, um Kohle für die Hochöfen zu gewinnen. Es gingen sogar Beschwerden in Richtung Erzbischof, die Luftverschmutzung sei unerträglich. Nur ein kleines Waldstück blieb erhalten, knapp unterhalb der Baumgrenze, durchzogen von Moortümpeln und deshalb unattraktiv für die Holzgewinnung. Ein Glücksfall, denn der Rauriser Urwald, wie er heute genannt wird, ist dadurch von der menschlichen Raubsucht verschont geblieben. Umso idyllischer wirkt er heute, als Teil der Kernzone des Nationalparks Hohe Tauern ist er mittlerweile auch formell gut geschützt. „Seitdem hat man noch viel mehr das Gefühl von Wildnis hier oben“, erklärt der zertifizierte Nationalparkranger Martin Unterhofer.

„Alles wirkt so riesig, man ist hier weit weg von der Welt.“

Bemerkenswert, ist das Raurisertal doch umringt von Tourismushochburgen wie Zell am See, Gastein oder Saalbach. Doch im 19. Jahrhundert erlosch der „Bergsegen“ mit seinen Goldfunden, die Minen wurden unrentabel. Das Raurisertal wurde wieder das, was es vorher schon war: Ein beschauliches, alpines Hochtal inmitten einer grandiosen Hochgebirgslandschaft.

DER KOLM-OPA KANN

Wenn man gleich mehrere Parade-Dreitausender vor der Haustür stehen hat, ist eine leichte Skiverrücktheit fast schon Grundvoraussetzung, um hier oben zu überleben. Eine solche wird am Ammererhof – einem der zwei Beherbergungsbetriebe ganz oben im Talschluss Kolm Saigurn – bereits seit Generationen gepflegt und gehegt. Zum Beispiel von Helmut Tomasek Senior, von allen nur liebevoll „Kolm-Opa“ genannt. Die runde 80 hat er mittlerweile stolz überschritten, und dass er das geschafft hat, kann er anscheinend selber kaum glauben. War er doch seinerzeit einer der wildesten Steilwand-Skifahrer des Landes: Die Schilderungen seiner Erstbefahrungen unterbricht er in besonders kritischen Momenten für ein flüchtiges Kreuzzeichen über Stirn und Brust, kombiniert mit einem ehrfürchtigen Blick Richtung Himmel.

Rauriser Tal, Kolm Saigurn. Foto: Simon Schöpf
Rauriser Tal, Kolm Saigurn. Foto: Simon Schöpf

Doch seine graublauen Augen hinter den buschigen Brauen leuchten am meisten, wenn es um den Hohen Sonnblick geht: Den allgegenwärtigen Berg vor der Haustüre mit seinem markanten Mittelpfeiler. Wie ein Dom erhebt sich der Sonnblick mit seinen 3.106 Metern über dem Raurisertal, und direkt vom Gipfel zieht eine 600 Meter lange, unglaublich steile Rinne nach unten: Ein Traumprojekt für jeden Steilwandskifahrer. Auch bei dieser Erzählung des Kolm-Opa fallen die Kreuzzeichen, „ganz oben bin i mal kurz rutschat woan“, sagt Helmut Tomasek, „danach hatte ich ein zweites Leben.“

Auch seine Kinder wuchsen hier oben auf 1.600 Metern auf, mittlerweile führt die nächste Generation den Ammererhof. Helmut Tomasek Junior hat die Gastwirtschaft übernommen und das Anwesen umfassend modernisiert. Selbstredend, dass auch seine Partnerin schneeverrückt sein muss, und das ist Miriam Popp mit Leib und Seele: Manchmal legt sie ihr Splitboard schon vor dem Frühstück an und spult die 1.700 Höhenmeter auf ihren Hausberg Hocharn in einer Zeit ab, in der andere gerade mal zwei Butterbrote schmieren. Sie als quicklebendiges Energiebündel zu beschreiben ist immer noch eine Untertreibung. „Aber was soll man machen, wenn man so tolle Berge direkt vor der Haustür hat?“, kommt die Rechtfertigung.

HOCHARN MIT DER SPURMASCHINE

Wer oben in Kolm Saigurn nächtigt, der ist den ganzen Winter über in einer privilegierten Pole Position für Skitouren. Bis im Frühling die Mautstraße wieder geräumt wird – Hocharn und Hoher Sonnblick sind zwei der ganz großen Salzburger Firnklassiker und ein Magnet für die Massen. Aber im Hochwinter heißt Pole Position nach Neuschneefällen vor allem eines: Spuren. Und es gibt wenige Leute, die dieser Pflicht mit mehr Wohlwollen begegnen als Reini Auzinger. Der besonnene Anfang-Dreißiger jobbt schon seit vielen Wintern hier oben am Ammererhof, der Deal für sein immer-freundliches Service am Abend: Eine Skitour pro Tag muss drin sein. „Als Gleichung formuliert könnte man sagen, alle Wintertage multipliziert mit Faktor 0.9, das macht so 100 Touren in der Saison, das kommt hin. Irgendwas geht da heroben immer, statt der Zimmerstunde geh‘ ich halt auf Tour.“

Rauriser Tal, Kolm Saigurn. Foto: Simon Schöpf
Spurmaschine Reini. Foto: Simon Schöpf

Als Spitznamen hätte er sich „Mr. Understatement“ verdient, denn wenn er sagt, er gehe „ganz gern Berg“, dann heißt das nach dreimaligem Nachhaken: Er war schon auf 8.000ern (Broad Peak, Makalu) und ist letztes Jahr – „so zum Spaß“ – einmal über den gesamten Alpenbogen spaziert. Von Wien bis nach Nizza, 80.000 Höhenmeter mit den Tourenski. Die Spurmaschine Reini lässt man also gerne vorauslaufen und trottet im eigenen Tempo hinterher, so wie heute auf den Hocharn, mit seinen 3.254 Metern rauen Urgesteins der höchste Gipfel der Goldberggruppe.


… die ganze Geschichte gibt’s im Bergwelten Magazin!

ANKOMMEN

Von Osten via Salzburg auf der A10 bis Bischofshofen, weiter auf der 311 bis nach Lend die Abzweigung ins Raurisertal führt. Von Westen über Kitzbühel und Mittersill oder über Saalfelden. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln bis zum Bahnhof Taxenbach – Rauris, oder mit der Buslinie 640 von Zell am See nach Rauris.

ESSEN & SCHLAFEN

Ganz oben im Talschluss Kolm-Saigurn ist der geschmackvoll renovierte Ammererhof das perfekte Basislager für alle Skitourenfreaks. Pole Position auf den Hocharn garantiert! Besonders imposant: Die neue Berghütte mit den Sternenzimmern. ammererhof.at

Rauriser Tal, Kolm Saigurn. Foto: Simon Schöpf
Der Ammerer Hof, Kolm Saigurn. Foto: Simon Schöpf

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