Hochalmspitze: Rendezvous mit der Tauernkönigin
Die Hochalmspitze im wilden Osten der Hohen Tauern zählt zu den stolzesten Gipfeln der Ostalpen. Unterwegs im Reich der mächtigen Tauernkönigin, mit Tourenski und Boulderpatschen.
Meistens freut man sich über Dinge, die passierten. Manchmal sollte man sich aber auch über Sachen freuen, die eben nicht passierten. Ein Atomkrieg gehört da dazu, die Wiederwahl Donald Trumps oder eben das Liftprojekt auf die Gletscher unterhalb der Hochalmspitze. Denn sonst wäre wohl jetzt ziemlich genau da, wo wir gerade archaisch unseren Schnee am Holzofen schmelzen, eine Mittelstation. Und da, wo wir morgen in aller Herrgottsfrühe hin aufbrechen wollen, eine riesige Skipiste. Und da, wo bis jetzt nur ein anmutiges Gipfelkreuz steht, die höchste Bergstation.
Aber weil damals ein vermögender Gönner – der schwäbische Bergsteiger Heinz Roth – den Grund ersteigerte und dem Alpenverein überschrieb, ist hier stattdessen einfach nur das, was auch vor den Siebzigerjahren schon da war: Das kleine, alte Villacher Hüttchen und sonst nichts. Also, nichts von Menschenhand Geschaffenes zumindest. Sondern nur Natur, wilde Natur, davon ziemlich viel. Schroffe, unnahbare Gipfel wie den Malteiner Sonnblick oder den Schober; riesige, weiße Gletscherflächen; aus der Entfernung die Balzlaute eines Schneehuhns. Und dabei wird es auch zukünftig bleiben, denn mit der Abwehr der skitechnischen Erschließung konnte die Grenze im östlichen Teil des Nationalparks Hohe Tauern endgültig festgelegt werden – die Hochalmspitze ist seitdem eines der Herzstücke des größten Nationalparks im gesamten Alpenraum.
Klar, wäre hier das Gletscherskigebiet doch errichtet worden, in der Mittelstation gäbe es bestimmt einen guten Germknödel mit warmer Vanillesauce in einem großzügigen Gastraum für uns. Stattdessen müssen wir erstmal die Tür zur Selbstversorgerhütte freischaufeln und danach auch noch Holzhacken, damit wir Futter für den alten Holzofen haben. Müssen uns zu viert in die enge Stube quetschen, unser Essen und Trinken mit eigener Kraft hochschleppen, für die Notdurft in die Kälte steigen. Und den Geruch von über dem Feuer trocknenden Skitourensocken, den muss man zwar nicht zwangsläufig mögen, aber man muss ihn zumindest ignorieren können. Aber spätestens, wenn Fotograf Sam hier auf über 2.000 Metern einen Bob-Dylan-Song aus den Saiten der alten Hüttengitarre zaubert, dann weiß man: Zufriedenheit braucht jenseits der Baumgrenze wenig Zutaten.
Audienz bei der Tauernkönigin
Die kleine Villacher Hütte liegt ziemlich genau auf halbem Wege vom Kärntner Maltatal auf die Hochalmspitze und damit weit weg von jeglichem Luxus. Aber genau deshalb sind wir hier, in der Kernzone des Nationalparks Hohe Tauern. „Vom Tal aus hast du fast 2.200 Höhenmeter vor dir, das ist schon eine bessere Westalpentour“, sagt Andi Gasser, nach einer soliden Portion Fertiggulasch aus der Dose tief über die Karte gebückt. „Ich zumindest kenn‘ keinen anderen Berg in den Ostalpen, der da rankommt.“ Die Hochalmspitze ist ein ganz spezieller Berg – nicht zuletzt ihretwegen ist der Andi – selbstständiger Filmer vom Beruf, Sunnyboy von Berufung – nach Gmünd gezogen, direkt an den Eingang des Maltatals. „Die Berge da sind einfach gewaltig, aber die Hochalm ist schon die Königin, meine Tauernkönigin“, sagt er mit einem Anflug jugendlicher Verliebtheit und grinst.
Und weil wir bei ihr morgen ganz zeitig zur Audienz erscheinen wollen, lassen wir das Feuer ausglühen und schlüpfen in unsere Schlafsäcke. Vor dem Einschlafen geistern noch einmal die Worte von Othmar Baier durch den Kopf, Bergführer und über 20 Jahre lang Wirt auf der Gießener Hütte auf der Südseite der Hochalmspitze. „In den alten Beschreibungen wird sie oft als der schönste Berg Kärntens bezeichnet. Die Hochalmspitze ist für mich rein archetektonisch betrachtet der Archetyp eines Gipfels: Auf jeder Seite ein scharfer Grat und dazu noch elegant von vier Gletschern eingekesselt“, hatte er im Tal unten gesagt.
Schönheit ist zwar immer subjektiv, aber mit 3.360 Metern ist die Hochalmspitze jedenfalls auch ganz objektiv der höchste Gipfel, der vollständig auf Kärntner Boden steht. König Großglockner ist zwar noch höher, aber eben auch ein halber Osttiroler. Einen Ratschlag hat uns Othmar noch mitgegeben: „Zum Führen ist die Hochalmspitze anspruchsvoller als der Großglockner. Tut’s ma aufpassen oben!“ Erschöpft aber zufrieden fallen die Augen zu, das letzte Knistern der Holzscheite ist unsere Gutenachtmusik.
Mit Kaiserwetter zur Königin
Die allerersten wärmenden Sonnenstrahlen fluten direkt in unser Küchenfenster. Schnell noch den Löskaffee austrinken vor dem Auffellen, ein makelloser Bergtag steht bevor. Die ersten Schritte fallen noch schwer, doch bald sind wir froh um unsere vorgelagerte Startposition: Das Hochalmkees hat die Landschaft hier über Jahrtausende sanft abgeschliffen, die schier endlosen Querungen haben einen legendären Ruf: „Du kannst die gesamte Tour quasi ohne Spitzkehre gehen, das ist schon einmalig“, sagt Andi dazu. „Wir sind da auf der komoten Seite“, heißt das dann auf gut kärntnerisch. Komot lässt sich zwar in etwa mit „gemütlich“ übersetzen, soll aber nicht heißen, dass man sich nicht trotzdem anstrengen müssten für den Gipfel. Bald schon steuern wir auf die Dreitausender-Marke zu, die Luft wird merklich dünner, die Atmung schwerer. Als Wiedergutmachung wird aber gleichzeitig auch die Aussicht immer phantastischer, das ein oder andere Verschnaufpäuschen gönnen wir uns mit gutem Gewissen.
Die Königin scheint eine schüchterne zu sein: Vom Hochalmkees aus betrachtet zeigt sich der markante Gipfel erst auf den letzten Metern, umso opulenter deshalb der Anblick, wenn die Tauernkönigin dann ganz plötzlich in vollem Prunk vor einem steht. „Beim ersten Mal hätt‘ i fast geplärrt da herobm vor lauter Schönheit“, erinnert sich Andi an den Beginn seiner Liebe zur Hochalmspitze. Man kann es ihm nicht übelnehmen: König Großglockner winkt eindrucksvoll herüber, die letzten Meter zum Gipfel ein schneidiger, ausgesetzter Grat. Hier treffen sich die vier markanten Grate, die der Hochalmspitze ihre ebenmäßige Form verleihen, die Gletscher zu Füßen wie ein samtener Hermelinumhang. Wir stehen auf einem stolzen Berg, und stolz sind wir dabei selbst am meisten.
Nach der Gipfeljause beweist Andi, woher sein Spitzname rührt: „Steilwand-Ander“. In direkter Falllinie vom Gipfel führt eine wagemutige Linie direkt in die Göss-Rinne, die neben dem markanten Südpfeiler mit einer Steilheit von bis 45° abfällt. Heute sind die Bedingungen perfekt, der Schnee griffig und stabil, da lässt sich ein Steilwand-Ander natürlich nicht zweimal bitten: Mit gekonnter Sprungschwung-Technik meistert er die Steilrinne, es scheint ihm sogar noch Spaß zu machen. Wir entscheiden uns dann doch lieber für die Firn-Suche auf der flachen, pardon, komoten Nordostseite. In verschwenderisch weiten Schwüngen gleiten wir über die Gletscherflächen zurück hinunter ins Maltatal. Das Rendezvous mit der Tauernkönigin ist beendet.
(…)
Der ganze Text wurde publiziert im > Bergwelten Magazin
Zahlenspiel
- 1856 km² umfasst der Nationalpark Hohe Tauern. Er ist damit das größte Schutzgebiet Mitteleuropas. 440 km² davon befinden sich in Kärnten.
- 3.360 m ist die Hochalmspitze hoch und damit die höchste Erhebung der Ankogelgruppe sowie der höchste Berg, der gänzlich auf Kärntner Boden steht.
- 1859 ist das Jahr der Erstbesteigung des Hauptgipfels durch Paul Grohmann und seine Führer. Wegen der starken Vergletscherung hatten die touristischen Pioniere am Berg keine einheimischen Vorgänger.
- 400 m feinster Granitgneis bietet der mächtige Westpfeiler, eine attraktive Spielwiese für Alpinkletterer. Die Schwierigkeiten reichen bis VII-.
Factbox: Hochalmspitze
Anreise
Mit der Bahn nach Salzburg, dort umsteigen nach Spittal an der Drau, von dort mit dem Postbus 5130 nach Malta. Mit dem Auto via Gmünd ca. 4 h von Wien, ca. 2 h von Graz, ca. 2,5 h von München.
Skitour Hochalmspitze
Die Skitour auf die Hochalmspitze ist eine der ganz großen Klassiker in den Ostalpen. Einerseits wegen ihrer Länge – 2.200 Höhenmeter! –, andererseits wegen ihrer Schönheit. Gewöhnlich wird die Tauernkönigin als Firntour im Frühjahr angegangen, immer öfter aber auch bei stabilen Verhältnissen im Hochwinter.
- Ausgangspunkt: Schönau Brücke an der Malta Hochalmstraße
- Dauer: 7:00 h
- Stecke: 12 km
- Höhendifferenz: 2.200 m
Der besondere Tipp:
Das Maltatal ist bekannt für seine Vielzahl an Wasserfällen. Nicht zuletzt der Fallbach, mit über 200 m Kärntens Höchster, brachten den Spitznamen „Tal der stürzenden Wasser“ ein. Im Winter wird dabei bei günstigen (sprich: kalten) Bedingungen ein „Tal der gefrorenen Wasser“, das Maltatal ist bei den Eiskletterern als eines der besten Gebiete der Ostalpen bekannt. Weit über 40 gefrorene Wasserfalle zum Pickeln und Mixed-Klettern sind erschlossen, besonders im Bereich längerer und dabei trotzdem moderater Eistouren gibt es eine beachtliche Auswahl. Auch für Liebhaber des Dry-Toolings und Mixed-Kletterns gibt es mit der „Falleralm“ und dem „Wing Master“ eigene Sektoren im Tal.