Die Matratzenhupfer, oder: Bouldern im Silvapark
Der Silvapark ist ein genialer Felsenspielplatz im Paznauntal, nicht nur für Kinder: Gebouldert wird auf 2.200 Metern Höhe, auf einem Sonnenplateau mit Aussicht und alpinem Flair.
(PDF: Reportage für das Bergwelten Magazin, veröffentlicht im Sommer 2017. Die Fotos im PDF stammen vom glorreichen Ray Demski, die Fotos im Beitrag unten von mir. Matratzenhupfer find ich halt einen suprigen Titel.)
Wenn man Noah Eldabe fragt, wie lange er schon bouldert, dann antwortet er: „Seit vier Jahren.“ Und wenn man ihn fragt, wie alt er jetzt schon ist, dann sagt er: „Sieben.“ Das heißt – und er kann es bereits selbst vorrechnen: Noah klettert, seit er drei ist. „Er war schon mit seinem Göti am Fels, da hatte er noch Windeln an“, erinnert sich die Mama, Sandra Eldabe. „Aber das ist ihm mittlerweile schon ein wenig peinlich!“
Nun gut, wenn der Göti – so nennt man in Tirol umgangssprachlich den Patenonkel – seit Jahren zu den weltbesten Boulderern gehört und regelmäßig die Grenzen des Sports nach oben schiebt, dann muss man eben früh anfangen, will man einmal so gut werden wie sein großes Vorbild, der Göti. In der Szene kennt ihn jeder, den Bernd Zangerl, Sandras Bruder. Der entgegnet dem ganzen Trubel mit stoischer Weisheit: „Ich möchte kein Vorbild sein, nur Mensch.“
Mit dabei ist heute auch Maruan – stolze fünf Lenze zählend. Mit denen ist er allerdings fast noch eine Spur wagemutiger als der große Bruder Noah. „Komm, ich zeig dir mein cooles Projekt“, meint er, schaut den Felsblock vor sich hinauf, chalkt wie ein Großer und klettert auch schon los. Höhenangst? Fehlanzeige.
Bouldern, so nennt man ungezwungenes Klettern ohne Seil in Absprunghöhe. In den Städten schießen die Hallen aus dem Boden wie Pilze nach einem Sommerregen. Doch das wirkliche Bouldern, das spielt sich noch immer draußen ab, am Fels. Denn Linien am Fels sind facettenreicher, und dort sucht man sich, genau wie Maruan, sein „Projekt“ – so nennen Boulderer die Routen, an denen sie ihre persönlichen Limits austesten. Routen, die man immer und immer wieder probiert, bis zum erfolgreichen Durchstieg.
BLÖCKE, DIE NICHT SCHEU SIND
Die Felsen mit den spannendsten Projekten findet man auf Tiroler Boden jedenfalls im Paznauntal. Und zwar so weit hinten drinnen, dass man fast schon in Vorarlberg anstoßt, inmitten der hohen Silvretta-Berge. Biegt man auf der Hochalpenstraße kurz vor der Bielerhöhe rechts ab, schlummert etwas oberhalb von Galtür ein Gebiet, das vom Namen her auch problemlos als Freizeitpark in Italien durchgehen würde: der Silvapark. Mit dem Unterschied, dass man hier keine Eintrittskarte braucht. Und Schlange steht man auch nicht. Der Silvapark ist ein kleiner Sonderling unter den Bouldergebieten. Während sich die meisten seiner Artgenossen in schattigen Wäldern oder tiefen Schluchten verstecken, sind die Blöcke im hinteren Paznaun gar nicht scheu. Die Felsen präsentieren sich in voller Pracht am Sonnenplateau unterhalb der Ballunspitze, dem Hausberg der Galtürer. Und sie sind weit oben: Gebouldert wird hier auf 2.200 Meter Meereshöhe. Da zählt fast schon die Ausrede, es läge am Sauerstoffmangel, wenn man einen Boulder nicht gleich hochkommt.
Bernd Zangerl ist als Boulderpionier um die Welt gereist, hat viel gesehen, viel begriffen. Und dennoch entdeckte er einen der wertvollsten Schätze gleich hinter seiner Arlberger Haustür, in Galtür. „Der Silvapark ist eines der schönsten Sommer- bouldergebiete der Alpen“, sagt er. „Das Urgestein, die Aussicht, das Ambiente. So geht Bouldern mit alpinem Flair!“
Mit Memento und Anam Cara hat er in der Silvretta zwei der weltweit härtesten Boulder geknackt – im astronomischen Schwierigkeitsgrad 8C. Für Bernd „Linien, die innen drinnen das Feuer entfachen“ – und für die selbst ein Weltklasseathlet wie er mehrere Jahre für einen erfolgreichen Durchstieg investieren musste. Einer war schon lange vor ihm da: Christoph Pfeifer boulderte im Silvapark bereits, als die Sportart als solche noch gar nicht existierte. „Wir sind als Buben schon vor 40 Jahren auf den Blöcken her- umgestiegen“, erinnert sich der Galtürer. „Damals haben wir halt ‚kraxeln‘ dazu gesagt.“ Christoph ist seit 25 Jahren Bergführer im Tal, er könnte die berühmten Gipfel wie den Piz Buin oder die Dreiländerspitze mittlerweile wohl mit verbundenen Augen hochstapfen. „Mit 74 Dreitausendern in der Gegend wird einem dabei auch über die Jahre nicht fad“, meint er. Doch das Bouldern „hat meine Arbeit ungemein bereichert“.
SELBSTBEWUSSTSEIN FÜRS LEBEN
Christoph und Bernd organisieren jede Saison Kurse für die Schulklassen aus dem Paznaun, sogar eine Kindergartengruppe war schon dabei. „Früher ging man eben auf Wandertag, heute wollen die Kinder lieber an die Felsen“, weiß Christoph. Mittlerweile gibt es im Silvapark sogar einen eigens angelegten Boulderbereich für Kinder, der Erste seiner Art weitum. Hier sind die Felsen etwas niedriger, nicht ganz so steil, und zum kleinen See ist es auch nicht weit. „Die Kinder tanken am Fels eine große Portion Selbstbewusstsein für ihr Leben“, sagt Christoph Pfeifer.
„Für die Kinder ist das der genialste Abenteuerspielplatz, den man sich vor stellen kann“, meint Sandra, Bernds Schwester, und wundert sich im selben Augenblick, wohin ihre zwei schon wieder verschwunden sind – Noah und Maruan springen zwischen den Felsen und Latschen umher wie kleine Gämsen. Dass sich die Kinder hier wohlfühlen, steht ihnen ins Gesicht geschrieben.
FÄUSTE IN DIE LUFT, JUBELSCHREI!
Nach einer kurzen Pause steigt Maruan wieder in sein Projekt ein – rechter Fuß höher, immer schön auf Reibung, linke Hand zur Leiste, zukrallen, der Blick hoch konzentriert, die Zunge im Mundwinkel. Dieses Mal gelingt auch der letzte Zug, die dunklen Augen weit aufgerissen. Die korrekte Siegerpose hat er sich auch schon von den Großen abgeschaut – Fäuste in die Luft, Jubelschrei!
Unter Boulderern gilt ein ungeschriebenes Gebot: Wer es als Erster schafft, ein Projekt ohne Sturz zu durchsteigen, der darf der Route einen Namen geben. Wenn man Maruan fragt, wie die Linie, die er gerade geklettert ist, nun heißen soll, antwortet er: „Noah und die starken Männer“ – dem Bruder zu Ehren, und mit einer großen Portion Selbstvertrauen.
INFOS BOULDERN SILVAPARK
ANKOMMEN
Das Bouldergebiet Silvapark liegt ganz hinten im Tiroler Paznaun: Mit dem PKW nach Landeck und auf der Silvrettastraße weiter nach Galtür. Vom Dorf entweder mit der Birkhahnbahn zur Bergstation oder mit dem Auto zum gebührenpflichtigen Parkplatz (5€) bei der Ballunspitzbahn Talstation.
SCHLAFEN UND ESSEN
- ALPENRESIDENZ BALLUNSPITZE
Kinderfreundliches Hotel mit vier Sternen im Zentrum von Galtür. Nach einem langen Tag draußen werden im Restaurant Bierkessel selbst die hungrigsten Boulderer bei Pizza oder Steak satt. A-6563 Galtür, Nr. 20 Tel.: +43 (0) 5443 82 14, ballunspitze.com
- CAMPING ZEINISSEE GALTÜR
Mit dem Zelt direkt am türksen Bergsee auf 1.800 Metern nächtigen und zu den Silhouetten der Silvrettagipfel erwachen – schwer spektakulär! Zeinisjoch, 6563 Galtür Tel.: +43 (0) 5443 8562, camping-galtuer.at - ALPINARIUM / CAFÉ GEFRORENE WASSER
Bernd Zangerl schwört seit Jahren auf den hausgemachten Kuchen im Café. Das Alpinarium ist ein faszinierendes Erlebnismuseum zum Thema Berge und erzählt „Geschichten von Galtür und der Welt“. Hauptstraße 29c, 6563 Galtür +43 (0)5443 200 00, alpinarium.at - MENTA ALM
Wenige Autominuten von Galtür im malerischen Jamtal, urige Tiroler Hausmannskost in grandioser Kulisse. +43 (0)6644 6576 45, mentaalm.at
BOULDERN UND KLETTERN
- BLÖCKE FINDEN
Der Boulderführer „Alpen en bloc 1“ des Panico Alpinverlags bietet eine ausgezeichnete Übersicht und Farbfotos aller Blöcke. Wer lieber digital unterwegs ist: Auf www.climbers-paradise.com findet man Topos & GPS-Positionen. - HÖHER STEIGEN
Wem die Highballs nicht hoch genug sind – der Klettersteig Silvapark (Schwierigkeit C/D) ist von der Bergstation der Birkhahnbahn auf markiertem Weg erreichbar, der Familienklettersteig „Little Ballun“ (A/B) startet ebenfalls hier oben. - SCHUHE & MATTEN
Intersport Wolfart in Galtür verleiht Kletterschuhe und Pads, zwei Matten finden sich auch in der Gondel des Kinderbereiches. Tel.: +43 5443 8295, intersport-wolfart.at