Ramolhaus, Ötztal. Foto: Simon Schöpf

Wie der Berg zur Hütte kam

Oasen der Geborgenheit inmitten alpiner Wildnis: Hütten gehören zu den Bergen wie die Wellen zum Meer. Nur, wie kamen diese Inseln ins Gebirg‘? Ein kulturhistorischer Rückblick auf die Sehnsuchtsorte der Alpen.


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(Text erschienen im Bergwelten Magazin 05-2018, hier die etwas längere Version, weil geschrieben ist geschrieben und Platz ist hier ohnehin ohne Ende vorhanden.


Lodare le montagne e stare nelle pianure“ – will heißen: „Die Berge loben, in der Ebene wohnen“. Das Sprichwort aus dem 13. Jahrhundert verdeutlicht schön die damalige Geisteshaltung – gerne aus der Ferne betrachten, aber bitte möglichst weit weg bleiben, vom gefährlichen Gebirg‘. An der Einstellung hat sich ein bisschen was geändert, heute kann man auch oben wohnen, am Berg. Nur, wie kamen die Hütten überhaupt auf die Berge?

Unterstände, die Schutz vor Unwettern oder Schneestürmen bieten, bauten die Menschen schon, seit sie Steine stapeln können. Im alpinen Raum waren wohl die Schafhirten die ersten, die systematisch Bauten am Berg errichteten, während sie mit ihren Herden umherzogen: Schutzhütten eben. Später kamen Säumer, Landvermesser, Bergwerksknappen dazu, arbeitende und reisende Menschen, die sich oft weit abseits der bewohnten Gebiete aufhielten.

Und irgendwann führten alle Wege nach Rom. Der Fernhandel nahm zu, auf vielen Pässen wurden Pilgerherbergen errichtet, sogenannte hospitales. Wer aus dem Norden kam, musste zwangsläufig diese lästigen Alpen überqueren – damals noch ein notwendiges Übel, heute Aussteiger-Sehnsucht vieler. Um das 18. Jahrhundert erhielt die Gebirgslandschaft als solche dann langsam einen Eigenwert – Berge begannen plötzlich, auch schön und ästhetisch zu sein, nicht nur hoch und im Weg.

Aus Touristen werden Alpinisten

Wer nun das Hüttenwesen verstehen will, der muss auch die Ursprünge des Alpinismus kennen: Wurden um 1800 die immer zahlreicher werdenden Reisenden als Touristen bezeichnet, so fand sich ab 1870 für die berggewandteren Gesellen unten ihnen der Begriff Alpinist. Einhergehend damit begann auch eine neue Phase der Höhen-Eroberung, und für die brauchte es geeignete Stützpunkte.

Dafür wurde die Hütte erfunden: Gebäude fernab des besiedelten Raumes, Inseln der Sicherheit im freien alpinen Gelände. Im Gegensatz zu den bisherigen hochgelegenen Behausungen wie der Saumhütte oder dem Hospiz, die immer einem praktischen Zwecke gewidmet waren, sollten die neuen Hütten nun vollends der Erforschung der Alpen dienen. „Die Motivation für die ersten Hütten war eindeutig: Die Eroberung der hohen Berge“, weiß Martin Achrainer, Historiker beim Österreichischen Alpenverein (ÖAV).

Fotografie des sogenannten Hotel Simony, einer ersten Notunterkunft für Bergsteiger im Wildkar (Dachstein), unterhalb der heutigen Simonyhütte. Aufnahme Friedrich Simonys

Und Bergsteigen, das war eine furchteinflößende Sache. „Was der Geograph und Alpenforscher Friedrich Simony über seine Dachstein-Besteigung 1843 schrieb, liest sich fast spannender als Robinson Crusoe“, sagt Achrainer, „die Leute hatten ja noch keinerlei Vorstellung von diesem Sport. Die Schluchten waren tief, die Wände steil, alles nur eine Sache für Ausnahmekönner“. Simony verbrachte – spektakulär! – sogar eine Septembernacht auf der Dachsteinspitze, „damals geradezu unvorstellbar“. Daraufhin baute er im Wildkar eine kleine Notunterkunft, „aus Steinen wie ein Schafhirte und mit Moos ausgekleidet“, so Achrainer. Die Hütte nannte er dann wohl nicht ganz ironiefrei Hotel Simony, sie steht heute noch. Für eine Übernachtung empfiehlt sich heute aber doch die nahegelegene Simonyhütte, die 1877 eröffnet wurde.

Das Nützliche und das Angenehme

Ein simples Holzschild mit der Worten „Utile Dulci“ prangte über der Eingangstür des „Hôtels“ von Charles Blair am Montenvers ober Chamonix, der ersten dokumentieren Schutzhütte im hochalpinen Raum, errichtet 1770. „Das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden“, so der neue Leitspruch der Alpeneroberer. Warum immer nur Entbehrung, nie Genuss?

 Stüdlhütte im Jahre 1874
Stüdlhütte im Jahre 1874. Foto: wiki commons

Schutz boten sie allemal, die Behausungen, die zur Eroberung des Mont Blanc ab 1785 auf der Montagne de la Côte errichtet wurden, aber gemütlich war es drinnen wohl kaum. Mehr Opulenz kannten dann schon die Erstbesteiger des Großglockners, als sie 1799 mit der Salmhütte das erste Schutzhaus der Ostalpen errichteten: Türen zwischen den Räumen, die edle Helligkeit des Holzes, Bänke, ein separater Küchenbau. Selbst eine Kegelbahn war geplant, wohl ein Reflex der untergehenden Aristokratenkultur. „Allerdings war die Salmhütte nach wenigen Jahren schon wieder in sich zusammengefallen“, weiß der Historiker Achrainer, „es kümmerte sich nämlich niemand darum. Dem Fürstbischof Salm, der den Bau finanziert hatte, war das allerdings egal – es ging ihm rein um die Erstbesteigung des Berges. Die Hütte hatte er für eine einmalige Situation bauen lassen“.

Bald war klar: Wer eine Hütte baut, muss auch für die Erhaltung sorgen. Beispiel Großvenediger, auch hier war Fridrich Simony aktiv. Dessen Besteigung 1856, bei der er noch „in den elenden Halterhüttchen der Ochsenalm campieren musste“, veranlasste ihn zum Bau einer neuen Unterkunft am Berg, der Johannis-Hütte. „Man musste erstmal kapieren, dass eine freistehende Hütte auf 3.000 Metern was anderes mitmachen muss als eine Almhütte auf 1.500. Simony war schlau und beauftragte deshalb einen Bergführer aus dem Dorf, sich um die Hütte zu kümmern und immer Heu und Holz bereitzustellen“, erinnert sich Achrainer.

Anschaulich formulierte Leopold Freiherr von Hoffmann 1867 die aufkeimenden Anforderungen für den Bau einer Hütte in den Hohen Tauern. Eine steinerne Unterkunft sollte her, in der man auch eine „Nacht zubringen kann, ohne, wie bis jetzt, in einer Sennhütte auf seinem Lager ober dem Geisstalle durch den Duft und die Unruhe der Bewohner desselben belästigt zu sein und ohne gelegentlich von den durch die Schäden des Daches herabfallenden Regentraufen aus dem Schlafe geweckt zu werden“.

Die Salmhütte in den 1930ern (Foto: Archiv ÖAV)

Zukunft statt Ziegen: „Die Bergsteiger waren es leid, im verwanzten Heu zu schlafen, und die Etappen auf den Berg sollten abgekürzt werden“, nennt Achrainer die zwei treibenden Faktoren für den Hüttenbau. Durch der Gründung der Alpenvereine in den 1860er-Jahren erlangte die Hüttenentwicklung in den Alpen eine neue Dynamik, mit einem gravierenden Unterschied: Ziel war es nun nicht mehr, einzelne, isolierte Bergunterkünfte für Gipfeleroberungen zu errichten, sondern ein zusammenhängendes System an Hütten und Wegen, das es beständig auszubauen galt.

Hüttenbau als Herausforderung

Zum Prototypen für die kommende Hüttengeneration wurde die Stüdlhütte auf der Südseite des Großglockners: 1868 erstmals erbaut, gab es „ein Pritschenlager, einen freistehenden Ofen, eine Bank vor der Hütte. Mehr braucht’s an und für sich nicht“, so Achrainer. Natürlich immer mit Ausnahmen: Hütten wurden gern zu den Prestigebauten der jeweiligen Alpenvereins-Sektionen, „im noblen Prunksaal der Berliner Hütte im Zillertal speisten die Gäste in Abendkleidung!“

Stüdlhütte anno jetzt. Foto: Simon Schöpf
Stüdlhütte anno jetzt. Foto: Simon Schöpf

„Aber im Grunde“, erklärt Doris Hallama, Architekturhistorikerin, Expertin für Hüttenbaugeschichte und Vizepräsidentin des Österreichischen Alpenvereins, „waren die ersten Hütte alle wahnsinnig ähnlich. Schlafen, kochen, essen, alles in einem Raum, nur die Bergführer hatten meist ein abgetrenntes Lager unterm Satteldach“. Die gesellschaftlichen Konventionen des städtischen Großbürgertums wanderten auch mit auf den Berg.

Der Hüttenbau selbst der war immer eine große Herausforderung, „vergleichbare Bauten in dieser Höhe gab es ja keine. Meist wurden die Gebäude aus Stein errichtet, das Bürgertum wollte sich damit von den hölzernen bäuerlichen Ställen und Schuppen abgrenzen“, so Hallama weiter. „Nur fand man eben für die Arbeit am Berg nicht unbedingt die besten Handwerker, sondern die verrücktesten“. Hubschrauber flogen damals noch lange keine, alles musste händisch auf den Berg geschafft werden. „Es gibt Bilder von Trägern, die 12 Meter lange Balken auf den Berg schleppen,“ weiß Hallama, „muss ein lukrativer Job gewesen sein“.

Ab 1880 wurden die Hütten dann rasch größer, der neueste Trend: bewirtschaftete Hütten. „Mit der Funktionsteilung in Küche und Gastraum brauchte es dann auch mehr Raum für die Angestellten, und eine Vorratskammer“, sagt Hallama.

Hütten weltweit

Hütten blieben aber keineswegs ein europäisches Phänomen, schon von Anfang an zog die Alpenvereinstätigkeit globale Kreise: 1899 wurden in den chinesischen Provinz Shandong mehrere Alpenvereinsunterkünfte errichtet, 1914 wurde mit dem Bau einer Hütte am Kilimandscharo begonnen (das „Hannover-Haus“ wurde ursprünglich für eine Höhe von 4.900 Metern geplant), in den 1930-Jahren eröffneten Hütten in den Peruanischen Anden und in Chile (der Club Alemán Andino – DAV Chile betreibt auch heute noch ihre Schutzhütte „Refugio Lo Valdés“ auf 1.932 Metern).

Und wie geht es weiter mit den Hütten? „Schon 1932 wurde in den Tölzer Richtlinien ein Baustopp für neue Hütten erlassen. Die alpine Infrastruktur gilt als abgeschlossen“, weiß Peter Kapelari, Leiter der Abteilung Hütten beim Alpenverein. Rund 1.300 Hütten sind quer über die Alpen verstreut – tendenziell werden es weniger. Manchmal müssen Hütten geschlossen werden, „meistens, weil die alpine Notwenigkeit als Stützpunkt nicht mehr gegeben ist oder die Hütte plötzlich inmitten eines Skigebietes steht“, so Kapelari. Aber das, was eine Hütte im Kern ausmacht, soll auch trotz steigender gesellschaftlicher Ansprüche in Zukunft erhalten bleiben, hofft Kapelari: „Einfach in der Ausstattung, einfach in der Verköstigung. Aber auch Einfaches kann verdammt gut schmecken“.

Stüdlhütte. Foto: Simon Schöpf

Kein Text ohne Listicle: 3 Hütten-Highlights

1. Die Älteste (1799)

Im Zuge der Großglockner-Erstbesteigung wurde an der Südostseite des höchsten Berges Österreichs bereits 1799 die Salmhütte errichtet. Damit ist sie die erste alpine Schutzhütte der Ostalpen, das ursprüngliche Gebäude wurde jedoch bereits wenige Jahre später durch einen Moränenschub des Gletschers zerstört.

2. Die Höchste (4.554 m)

In der Capanna Regina Margherita (dt. Margheritahütte) im Monte-Rosa-Gebiet haust man auf 4.554 Metern und wurde – tatsächlich – bereits 1893 vom Club Alpino Italiano (CAI) als Bergsteigerunterkunft und Forschungsstation errichtet. Damit ist die Margharitahütte das höchstgelegene Gebäude Europas.

3. Die Besondere (1997)

Die Berliner Hütte (2.042 m) in den Zillertaler Alpen: 1879 errichtet und dabei ein „besonders qualitätsvolles Beispiel einer alpinen Schutzhütte“, wie das Bundesdenkmalamt 1997 urteilte und die Berliner Hütte damit als erste Schutzhütte Österreichs unter Denkmalschutz stellte.

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